Magazin # 69 (erscheint im Juni 2002)

Jack Tramiel: Überleben und Wiederbeginn

Aus „Alles war gegen sie“

Fortune magazin, 13. April 1998

(ziemlich frei) übersetzt von Alexander Klinner


Als die Nazis 1939 in seine Stadt Lodz (Polen) einmarschierten, war Jack Tramiel (hier noch Idek Tramielski) gerade 10 Jahre alt. Das sich ihm bietende Szenario nahm er anfänglich mit der unschuldigen Auffassung eines Kindes wahr: In der Sonne glitzernde Waffen, Soldaten im Gleichschritt, darüber Flugzeuge. „Es war etwas Beeindruckendes“ erinnert er sich.

Jack Tramiel

Silicon Valley

Gründer der Commodore Intl.

Die Wirklichkeit sah anders aus. Lodzs Juden - ein Drittel der 600.000 Einwohner zählenden Stadt - mussten ihre Häuser verlassen und wurden in ein Ghetto ge-drängt. Fast fünf Jahre lebten Jack (ein Einzelkind) und seine Eltern dort in einem Zimmer, stets auf der Suche nach Nahrung. Sein Vater arbeitete als Schuh-macher, Jack in einer Hosenfabrik. Die Gesichter, welche die Tramiels im Ghetto sahen, wechselten ständig. Während Juden gingen, kamen neue Juden wieder hinzu, oft aus anderen Ländern. Später lernte Tramiel, dass der jüdische Anführer des Ghettos die Bewohner gegenüber den Deutschen aussortierte, in der Hoffnung, dass die Gemeinschaft in Ruhe gelassen würde, solange er nur regelmäßig ein gewisses Kontingent der Einwohner zur Abschiebung - und ohne Frage zur Hinrichtung - ü-bergeben würde.

Im August 1944 wurden die Tramiels selbst in Eisenbahnwaggons gepfercht. Es wur-de ihnen gesagt, sie gingen zu ihrem eigenem Besten nach Deutschland und wurden stattdessen nach Auschwitz gebracht. Jacks erinnert sich bei dem Drei-Tages-Tripp noch lebhaft daran, dass jeder einen ganzen Laib Brot als Ration bekam - weit mehr als er sich je erhofft hatte. Am Ende der Reise wurden die Männer von den Frauen getrennt (hier verlor Jack seine Mutter aus den Augen) und dann noch in zwei Gruppen aufgeteilt: Die einen, die noch eine zeitlang zu leben hatten und die anderen für die Gaskammern in Auschwitz. Jack und sein Vater wurde der Gruppe zugeteilt, die überlebte.

Einige Wochen später wurden Jack und sein Vater von dem berühmt-berüchtigten Dr. Josef Mengele „untersucht“ und abermals der Überlebens-Gruppe zugeteilt. „Was meinen Sie mit - untersucht?“ wurde Tramiel gefragt. „Er faßte meine Hoden an. Er beurteilte, ob wir stark genug zum Arbeiten waren.“ Dies überstanden, wurden Tramiel und sein Vater in die Nähe von Hannover, Deutschland, gebracht um dort ein Konzentrationslager zu errichten, in dessen Baracken sie selbst umzogen. In einem Klima, welches oft bitter kalt war, arbeiteten sie in einer dünnen, Pyja-ma-ähnlichen Kleidung. Auf Grund der verordneten Diät litten sie mehr und mehr an Unterernährung: Wässrige „Suppe“ und Brot am Morgen, eine Tomate, Brot und nochmals „Suppe“ am Abend.

Im Dezember 1944 wurden die Tramiels unterschiedlichen Arbeitergruppen zugeteilt und sahen sich nur noch gelegentlich. Bei einem der Treffen erzählte der Vater seinem Sohn, dass etliche junge Leute im Camp es schafften, Essen zu ihren El-tern zu schmuggeln - und warum Jack dies nicht für seinen Vater getan hätte? Davon angespornt, überlegte Jack tagelang, wie er an dem elektrischen Zaun, wel-cher zwischen ihm und einer SS-Küche stand, vorbei konnte. Letztlich zwängte er seinen dünnen Körper darunter durch und schaffte es, etwas Essen zu stehlen - eine Tomate und ein paar Schalen. Aber als er das Essen zu seinem Vater brachte, hatte die Unterernährung seinen Vater überwältigt und seinen Körper aufge-schwemmt. Er konnte nicht essen. Bald darauf starb er im Krankenhaus des Camps. Später erfuhr Jack, dass der Tod unmittelbar aus der Injektion von Benzin in die Venen seines Vaters herrührte.

Als sich der Winter in das Frühjahr 1945 streckte, ging es auch Jack Tramiel selbst zunehmend schlechter. Aber dann zeigte das Kriegsende ein merkwürdiges Szenario. Zuerst verschwanden die Deutschen aus dem Lager; dann kam kurz das Rote Kreuz, überfütterte einige der Gefangenen bis zu dem Punkt, dass sie star-ben; danach kamen wieder die Deutschen um abermals zu verschwinden. Ihnen nach zwei amerikanische Soldaten – „20 Fuß große schwarze Männer, die ersten Farbi-gen, die ich je gesehen hatte“ sagt Tramiel -- die in der Kasernentür auftauch-ten. Sie blickten auf die Gefangenen, die sich unter dem Stroh ihrer Kojen ver-steckten und sagten etwas auf Englisch, das einer der Juden als „Mehr Amerikaner werden kommen“ übersetzte, und gingen wieder. Dann rollte ein Panzer vor. In ihm war ein jüdischer Priester in Uniform, der in Yiddish erklärte „Ihr seid frei“ und dem Panzer befahl, weiter zu fahren. Dies waren Truppen der vorrückenden amerikanischen Armee. Es war im April 1945 und Tramiel war 16.

Tramiel, heute 69 und eine stattliche Erscheinung, blieb für mehr als zwei Jahre nach seiner Befreiung in Europa. Viele seiner Erinnerungen an diese Tage drehen sich um Nahrung: Wie er es meisterte, in einer Klinik an einer reichhaltigen, und beschämenderweise dickmachenden, Diät teil zu nehmen; wie er zufrieden war, in einer amerikanischen Armeeküche zu arbeiten; wie er andere langweilige Jobs für „Geld oder Essen“ erledigte. Während dieser Zeit erfuhr er aber auch, dass seine Mutter noch am Leben und zurück in Lodz sei. Er besuchte sie dort, verließ sie aber dann wieder, um eine ebenfalls Überlebende des Konzentrationslagers, Helen Goldgrub, zu heiraten und mit ihr in die USA über zu siedeln. Die beiden heirateten in Deutschland im Juli 1947 und wanderten getrennt in die USA aus -- zuerst er im November dieses Jahres. Seine Zuversicht, gestärkt durch seine Er-fahrung <des Überlebens>, gipfelte in Stolz: „Ich war der Ansicht, ich könnte alles schaffen“ sagt er. Er begann an einer jüdischen Agentur, HIAS, in New Y-ork; bekam in einem Lampengeschäft in der Fifth-Avenue einen Job als Hausmeister <handyman>; lernte Englisch von amerikanischen Filmen; und ernährte sich letzt-endlich überwiegend von Schokolade denn von regulärem Essen.

Zu Beginn des Jahres 1948 tat er das Unwahrscheinliche und trat der US-Armee bei. Als er sie vier Jahre später wieder verließ, kehrte er zu seiner Frau zu-rück, und wurde Vater eines Sohnes (der erste von drei). Die Armee ermöglichte ihm auch eine Kariere, da er dort für die Reparatur von Büromaschinen im Bereich von New York verantwortlich war. Als Tramiel in das bürgerliche Leben zurück kehrte, begann eine lange Zeit, in der er sich intensiv mit Maschinen beschäf-tigte, welche Wörter schrieben und Zahlen rechneten. Zunächst arbeitete er für 50 Dollar die Woche in einem um's Überleben kämpfenden Schreibmaschinen-Reparatur-Betrieb. Unter Verwendung seiner beim Militär geknüpften Verbindungen konnte er dem Inhaber einen Wartungsvertrag über mehrere tausend Maschinen ver-mitteln. „Der Typ flippte aus“ sagte Tramiel, gab seinem unternehmungsfreudigen Angestellten aber keine Lohnerhöhung. „Für Leute ohne Gehirn arbeite ich nicht“, sagte Tramiel zu dem Inhaber und kündigte.

Tramiel kaufte darauf hin ein Schreibmaschinen-Geschäft in der Bronx. Er erle-digte Reparaturarbeiten für die Fordham Universität und wenn sich die Gelegen-heit bot, kaufte er größere Mengen gebrauchter Schreibmaschinen an, reparierte sie und verkaufte sie wieder. Als nächstes plante er, Maschinen aus Italien zu importieren. Allerdings konnte er die gewünschten exklusiven Importrechte nur dann erhalten, wenn er nach Kanada umzog. Es war in Toronto, in 1955, als er eine Firma mit dem Namen Commodore gründete. Eine Import- und eventuell Herstel-lerfirma sowohl von Schreib- wie auch Rechenmaschinen. Warum Commodore? Weil Tramiel einen Namen mit militärischem Klang wollte und höherrangige, so wie Ge-neral und Admiral, bereits vergeben waren. Commodore ging 1962 für einen Tiefst-preis von 2,50 $ pro Aktie an die Börse -- Ein Schritt, der Kapital aufbrachte, welches Tramiel zur Rückzahlung von Darlehen benötigte, die er von einem kanadi-schen Finanzier namens C. Powell Morgan, Kopf der Atlantic Acceptance, erhalten hatte. Mitte 1960 gab es große Probleme, als Atlantic, mit denen Commodore ge-schäftlich bereits verbunden war, wegen gefälschter Finanzberichte, Scheinunter-nehmen und fingierter Aktienkurse bankrott ging.

Tramiel war nie in illegale Geschäfte verwickelt, aber eine Untersuchungskommis-sion stellte fest, dass seine Weste möglicherweise nicht gänzlich weiß war. Je-denfalls schloss ihn die Kanadische Finanzeinrichtung aus. Um Commodore selbst vor dem Konkurs zu retten, war er 1966 gezwungen, Teile der Unternehmensführung an den Investor Irving Gould abzugeben.

Commodores Hauptaugenmerk lag danach noch immer auf Schreib- und Rechenmaschi-nen, aber die elektronische Revolution war in Silicon Valley am

Laufen. Tramiel selbst zog es in den späten 60ern dorthin. Und bald darauf pro-duzierte Commodore elektronische Rechner. Dies zeigt seine schnelle Reaktionsfä-higkeit der Anpassung an den Markt, welche sein ganzes Leben charakterisiert. In dieser Zeit wurde ein Produkt so populär, dass es gefährlich wurde: Die Firma, welche Commodore mit <semiconductor> Chips belieferte - Texas Instruments - be-schloss, die Rechner selbst herzustellen und zu einem Preis zu verkaufen, die Commodore nicht unterbieten konnte.

Nachdem Commodore wieder am Laufen war, schwor Tramiel, nie wieder von der Gunst eines wichtigen Lieferanten in Abhängigkeit zu geraten. 1976 erzielte er eine wichtige Acquisition: MOS Technology, ein Chiphersteller in Pennsylvania, wel-cher selbst etwa 200 verschiedenen R & D Projekte entwickelte. Tramiel, in sei-nem Management-Stil ein vorpreschender, früher Al Dunlap, legte die meisten der Projekte sofort still. Hellhörig wurde er jedoch, als ihm ein Techniker namens Chuck Peddle mitteilte, dass die Firma einen Chip hatte, welcher effektiv ein Mikrocomputer sei. Und Kleincomputern, sagte Peddle, „gehört die Zukunft“.

Gewillt, ein kleines Glücksspiel zu wagen, teilte Tramiel Peddle mit, dass er und Tramiels zweiter Sohn Leonhard, mit einem Diplom an der Columbia Universi-tät, sechs Monate hatten um einen Computer zu bauen, den Commodore auf der kom-menden Comdex electronic show präsentieren konnte. Sie schafften es bis zu die-sem Stichtag. „Und jeder liebte das Produkt“, sagt Tramiel, und lässt den Namen auf der Zunge zergehen: PET (Haustier), für Personal Electronic Transactor. Lei-der war dieses möglicherweise ein sehr kostspieliges Haustier, jede Menge Gefahr war damit verbunden. Tramiel erinnert sich: „viel Geld hatte ich immer noch nicht.“ So beschloss er, die Nachfrage zu messen, indem er Zeitungsanzeigen schaltete. In den Anzeigen wurde ein Computer mit sechswöchiger Lieferfrist zu einem Preis von 599 Dollar angeboten - ein fiktiver Preis, bei dem Tramiel dach-te, noch Gewinn machen zu können. Die Anzeigen erschienen und überwältigende 3 Millionen in Schecks kamen zurück.

Commodore kam mit seinem Computer 1977 auf den Markt. Das gleiche Jahr, in dem auch Apple und Tandy mit dem Verkauf ihrer Micros begannen. Während der nächsten Jahre machte Tramiel Druck gegen diese und andere Mitbewerber und trieb den Preis kontinuierlich nach unten, bis in Regionen um 200 Dollar. Er

wurde auch für die raue Behandlung der Zulieferer, Kunden und Angestellten be-kannt -- insgesamt war alles ziemlich hart. „Geschäft ist Krieg,“ sagte er. „Ich vertraue nicht auf Vergleichen, ich glaube daran, zu gewinnen.“ Was er in diesen frühen Jahren der Computer auch tat. Er führte Commodore 1983 zu 700 Millionen Dollar Umsatz vor Steuern und 88 Millionen Gewinn. Zu den Höchstkursen dieser Tage waren die Aktien, welche Tramiel 1962 zu einem Preis von 2,50 $ verkauft hatte 1.200 $ wert und seine 6,5 %ige Beteiligung war 120 Millionen Dollar wert.

Dann jedoch, Anfang 1984, gerade als die jährlichen Verkaufszahlen auf über 1 Billion Dollar kletterten, verkrachte sich Tramiel mit einem mächtigeren Aktio-när Commodores, Irving Gould -- und als die Rauchwolken verzogen, war Tramiel draußen. Die Ursache des Streits wurde niemals publik. Heute jedoch sagt Tra-miel, dass er ein „wachsen“ der Firma wollte und Gould nicht. Commodore war Tra-miels letzter großer Wurf. Er kam schnell wieder mit der Computerindustrie in Berührung: Später in 1984 übernimmt er -- zum Spottpreis -- von Warner Communi-cations die heruntergekommene Firma Atari. Aber in einem sich ständig ändernden Markt, als IBM seine PCs herausbrachte und die Klones erfolgreich wurden, war Atari ein Verlierer und letztlich ein Wagnis, in welches Tramiel nicht viel Geld investieren wollte. Schließlich verschmolz er Atari mit einen im Silicon Valley ansässigen Festplattenhersteller, JTS, bei welchem er Hauptanteilseigner war, jedoch keine funktionelle Rolle inne hatte. Heute lebt Tramiel zurückgezogen und verwaltet sein Geld. Seine vier Wohnsitze hat er auf einen reduziert, ein majes-tätisches Haus auf einem kleinen Hügel in Monte Sereno, Californien. In seiner Garage stehen zwei Rolls-Royce, eine Art Luxus, der sich Tramiel nicht entziehen kann.

Natürlich wird Tramiel von gemeinnützigen Organisationen besucht. Als jene des Holocaust-Memorial Museums kamen, dachte er zunächst, dies sei nur ein weiterer Verein, welcher um Geld bat. Aber seine Frau, Helen, 69, die im Konzentrations-lager Bergen-Belsen gefangen war, ist sich intensiv darüber bewusst, dass sie und ihr Ehemann überlebten; Millionen anderer Juden nicht. „Nein,“ sagte sie überzeugt, „dafür müssen wir alle stehen.“ <for this one we have to go all out>